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Restitution nach TansaniaKolonialgeschichte in den Knochen

Deutschland will Gebeine getöteter antikolonialer Kämpfer an Tansania zurückgeben. „Endlich, nach über 100 Jahren“, freut sich ein Enkel.

Der Schädel von Sindako Kiwelo (rechts) wurde jetzt in Berlin identifiziert Foto: Hans Meyer/Deutsche Fotothek

Kampala taz | Als Zablon Kiwelu vor einigen Wochen auf einem Workshop am Fuße des Kilimanjaro-Berges in Tansania ein Dokument mit dem Briefkopf der Berliner Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) in die Hand gedrückt bekam, „war ich so glücklich, dass wir nach über hundert Jahren endlich wissen, wo mein Großvater verblieben ist“, sagt er der taz am Telefon.

„Positiv“ stand darauf gedruckt. Dies bedeutet: Der genetische Fingerabdruck von Zablon Kiwelu stimmt mit dem überein, der von einem Schädel genommen wurde, der über hundert Jahre lang in den Kellern der Berliner Charité gelagert worden ist.

Über 1.000 menschliche Überreste aus den ehemals deutschen Kolonien in Afrika wurden in den vergangenen Jahren in Berlin im Rahmen eines 2017 gestarteten Pilotprojektes am Museum für Vor- und Frühgeschichte wissenschaftlich untersucht. Die Forscher sammelten auch DNA-Proben in den ehemals deutschen Kolonien und verglichen die genetischen Fingerabdrücke mit denen der Gebeine in Deutschland.

904 Schädel konnten laut SPK Gebieten im heutigen Ruanda, 197 Tansania und 27 Kenia zugeordnet werden. Bei sieben gelang keine Zuordnung.

Sindako Kiwelo wurde im Jahr 1900 erhängt

„Akida“ steht auf einem der Schädel in Berlin. Bei diesem ließ sich nun die Verwandtschaft mit Zablon Kiwelu in Kilimanjaro bestätigen. Dessen Großvater Sindato Kiwelo war zu Lebzeiten ein hochrangiger Krieger und Berater – „Akida“ genannt – von Chief Mangi Meli, dem damaligen Anführers des Volks der Chagga, erklärt Enkel Kiwelu. Er sei im Oktober 1900 zusammen mit 18 weiteren Akidas und Chiefs von den Deutschen erhängt worden.

„Aus den Geschichtsbüchern und mündlichen Überlieferungen wissen wir, dass die Deutschen die Gebeine aus verschiedenen Gründen mit nach Berlin genommen haben“, so Valence Silayo, Doktor für Archäologie und Ahnenforschung an der tansanischen Universität von Daressalam. Er hat die Suche nach den Verwandten in Tansania und den Workshop geleitet und den Familien letztlich auch die DNA-Ergebnisse überreicht.

Für die deutschen Besatzer waren die Gebeine, vor allem die Schädel, Kriegstrophäen, so Silayo. Denn meist handelte es sich um Gebeine von Personen, die sich gegen die Kolonialherren aufgelehnt und rebelliert hatten. Zum anderen, so Silayo, wurden die Schädel zur wissenschaftlichen Erforschung mitgenommen, meist mit rassistischen Hintergründen.

Für zwei weitere Schädeln wurde eine fast vollständige genetische Übereinstimmung mit der Familie Molelia in Tansania identifiziert, so die SPK. „Eine direkte biologische Verwandtschaft in ununterbrochener väterlicher Linie ist in diesen Fällen zumindest wahrscheinlich“, so die deutsche Stiftung.

Die taz hat auch mit dieser Familie am Telefon gesprochen, sie sind wahnsinnig erfreut, sagen sie. Doch erst wollen sie sich in einem Familientreffen beraten, bevor sie offiziell mit den Medien sprechen.

Ahnenforscher Silayo hat sich mit der Familiengeschichte der Molelias intensiv beschäftigt. Bei einem Schädel handelt es sich offenbar um den Nachfahren von Chief Mangi Sina, der ein mächtiges Königreich in Kibosho regierte, heute ein Bezirk im ländlichen Distrikt Moshi in der Kilimanjaro-Region. „Es war das tapferste Königreich im ganzen von den deutschen Truppen besetzten Gebiet“, so Silayo.

Nach lang anhaltenden Auseinandersetzungen besiegten die Krieger von Mangi Sina die deutschen Schutztruppen 1891. Dafür rächten sich die Deutschen in einem weiteren Feldzug 1893. Mangi Sina musste sich ergeben, seine aus Stein gebaute Festung wurde zerstört, die Deutschen verhafteten seine Krieger und zerstörten damit seine Armee. Er starb 1897.

Ihm folgte als Thronerbe sein Sohn Molelia, „ein mächtiger General und Krieger“, berichtet Silayo. Molelia griff die deutschen Truppen erneut an, wurde allerdings gestellt. „Dafür wurde er von den Deutschen am 2. März 1900 gehängt“, weiß der Historiker. Seinen abgetrennten Kopf verschickten die Deutschen nach Berlin. Dort liegt er bis heute.

Die Angehörigen in Tansania fordern nun die Rückgabe der Gebeine ihrer Vorfahren. Der Grund, so Silayo: „Die Chagga verfolgen die eiserne Regel, dass die Angehörigen ihres Volkes nur am Kilimanjaro beerdigt werden sollen, nirgendwo sonst“. Dies sei besonders wichtig, wenn ein König und damit der offizielle Volksvertreter beerdigt wird.

„Sonst wandert sein Geist weiter umher“, so Silayo. „Chagga erklären sich seither viele Seuchen, wirtschaftliche Misserfolge, Ernteausfälle oder sonstige schlimme Dinge mit diesem Geist, der keine Ruhe findet.“

Für viele ethnische Gruppen ist die Heimkehr der nach Deutschland verschleppten Gebeine ihrer Vorfahren „nicht nur ein symbolischer Akt“, sagt Silayo. „Es bedeutet so viel mehr.“ Es wäre für die Deutschen, die in Tansania bis heute viele Entwicklungsprojekte finanziell unterstützen, „also nicht nur ein symbolischer Akt, sondern ein sehr wichtiger Beitrag“, um sich als Partnerland zu bewähren.

„Denn“, so Silayo, „bis heute wird vor allem in den mündlichen Überlieferungen mit den Deutschen nach wie vor viel Blut und Leid verbunden.“ Mit einer Rückgabe würden die Deutschen Verantwortung übernehmen und offiziell anerkennen, dass sie Unrecht begangen haben.

Noch keine Nachricht von der Bundesregierung

Jenseits des Dokuments mit den DNA-Testergebnissen mit dem SPK-Briefkopf haben die betroffenen Familien in Tansania noch keine Nachricht von der Bundesregierung erhalten. Die SPK betont in ihrer jüngsten Pressemitteilung von Anfang September: „So zeitnah wie möglich werden nun die Angehörigen und die Regierung von Tansania informiert.“ Bislang ist dies jedoch noch nicht geschehen, bestätigen die Familien der taz.

Zablon Kiwelu erklärt, er habe einen Anwalt eingeschaltet und dieser würde sich nun an die deutsche Regierung wenden. „Ich will noch in diesem Jahr nach Berlin fliegen und den Schädel nach Hause holen“, sagt er entschlossen.

Deutsch-Ostafrika – eine vergessene Kolonie mit blutiger Geschichte

1885: Deutschlands Kaiser Wilhelm I. genehmigt der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft des deutschen Abenteurers Carl Peters die Besetzung von Land im Namen des Deutschen Reiches. „Deutsch-Ostafrika“ erstreckt sich bis zum Tanganyika-See im Herzen Afrikas. Die genauen Grenzen werden später in Verträgen mit Großbritannien, Portugal und Belgien festgelegt.

1905: Steuern und Zwangsarbeit führen zum antikolonialen Maji-Maji-Aufstand, den Deutschland blutig niederschlägt. 300.000 Afrikaner sterben, 5 Prozent der Bevölkerung.

1916: Im Rahmen des Ersten Weltkrieges wird Deutsch-Ostafrika von Großbritannien und Belgien erobert und 1920 als Völkerbund-Mandatsgebiet aufgeteilt. Die Königreiche Ruanda und Burundi werden belgisch, der Rest unter dem Namen Tanganyika britisch.

1961: Tanganyika wird unabhängig. 1964 vereinigt es sich mit Sansibar, das als britische Kolonie 1963 unabhängig geworden war, zur Vereinigten Republik Tansania.

In Kilimanjaro selbst haben die offiziellen Volksvertreter sich längst an Tansanias Regierung gewandt, um offizielle Rückgabeansprüche zu formulieren. „Im Jahr 2021 haben wir Chiefs von Kilimanjaro ein traditionelles Fest ausgerichtet, bei welchem auch Präsidentin Samia Suluhu Hassan anwesend war“, berichtet Joseph Mselle von der Chiefs Union in Tansania, Verband aller traditionellen Volksvertreter im Land.

Mselle ist heute als Chief für die Region Kilimanjaro zuständig. „Wir haben die Präsidentin offiziell gebeten, bei der Rückgabe der menschlichen Überreste zu helfen, die uns während des Kolonialismus entwendet wurden.“ Samia hat diese Aufgabe dem Ministerium für Tourismus, Sport und Kultur übertragen, das nun gemeinsam mit dem Außenministerium mit den Rückgabeforderungen an Deutschland betraut wurde.

Die Idee sei, sagt Mselle, dass die Deutschen in Kilimanjaro ein Museum errichten, in welchem nicht nur die zurückgebrachten Gebeine, sondern auch die Kolonialgeschichte erklärt wird. Auch Enkel Zablon betont, ein solches Museum sei ein wichtiger Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte. Er wäre bereit, den Schädel seines Großvaters dort auszustellen, sagt er der taz.

Im Oktober plant der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Reise nach Tansania. Dies könnte eine Gelegenheit sein, diese Forderungen anzusprechen. Auf taz-Anfrage erklärt das Bundespräsidialamt, Steinmeier „hofft, dass die zuständigen Institutionen in Deutschland und Tansania in Verbindung mit den Familien der Nachfahren rasch eine Lösung finden, wie die Schädel am besten zurückgegeben werden können.“

Hinweis: In der ersten Fassung des Textes war die Zahl der von den Deutschen Erhängten mit 20 angegeben. Es waren aber 19. Wir haben das korrigiert. Wir haben außerdem die SPK als Quelle der Anzahl der zugeordneten Schädel ergänzt.

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1 Kommentar

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  • Ich finde es sehr gut, dass dieses Unrecht nun endlich wiedergutgemacht wird, soweit es geht. Es ist sehr wichtig, dass das zu den Bedingungen der betroffenen Familien geschieht. Denn die Beisetzung in der Nähe, am besten auf dem Grundstück der eigenen Familie ist für Menschen in Ostafrika eine Frage der Würde und des Respekts gegenüber den Lebenden und den Toten.

    Wenn die Angehörigen ein Museum wünschen, dann finde ich, soll Deutschland das auch bezahlen. Erstens als Anzahlung auf Reparationen, zweitens als ehrliche Entschuldigung, durch die die Deutschen aucb Blöße zeigen, indem die Unrechtsgeschichte aufgearbeitet wird, und drittens als würdevolle Ruhestätte für die Ermordeten, die so auf nachhaltige Weise in ihrer Gemeinschaft wirksam bleiben und Erinnerung und Kraft stiften können.